Ist das Party oder Satire?

///Ist das Party oder Satire?

Ganz ehrlich: Wer vorhat, ein oder zwei Semester lang im Ausland unter dem Motto Sex, Drugs and wilde Indie-, Hip Hop- oder Technoparties zu studieren, der ist in Island so falsch wie AGI-Mail-Stundenplanänderungsnachrichten verständlich sind. Auf Deutsch: Partyanimals sollten z.B. nach Spanien, Finnland oder Großbritannien gehen. NICHT nach Island!

Der DJ der schlechten Laune

Auslandssemester. Bevor ich nach Island kam, assoziierte ich mit diesem Begriff das, was viele gern mit „Ballermann-Malle“ in Verbindung bringen. Sprich: exzessiver Billigfuselkonsum, Unmengen an wilden Partys und wenn man mal nüchtern ist, gemütlich die Insel erkunden. Gemütlich die Insel erkunden ist gar kein Problem und mehr als empfehlenswert. Aber der Rest? MÖÖÖP! Nicht hier in Islands 17.000-Einwohner-Städtchen Akureyri. Günstiger Alkohol und „Nightlife“ sind hier so selten wie mit Sonnencreme eingeschmierte Yolo-Pauschaltouristen in Badeschlappen und Borat Mankini. Kurzum: wenn Mittweida mit seinem StuClu partytechnisch der Rand der Hölle ist, dann ist Akureyri mit seinem einzigen Club namens Pósthúsbarrinn das lodernde Fegefeuer, wo der Teufel persönlich in Form von DJ Biggi, Akureyris VIP Number One, heiße Hits wie Whitney Houstens „I Wanna Dance with Somebody“ und diverse Eurovision Songcontest-Kracher in Dauerschleife auflegt.

Das Posthorn-Logo trügt. Hier geht die Post nicht ab.

Das Posthorn-Logo trügt. Hier geht die Post nicht ab.

Biggi, der Wendler unter den DJs, beherrscht die Kunst der musikalischen Abendunterhaltung so schlecht wie kein anderer, wenn man mich fragt. Seine Markenzeichen: Ein Musikgeschmack, schlechter als der von MDR-Jump-Radiomoderatoren, Kopfhörer, die er tatsächlich nur aus Coolness-Gründen um den Hals hängen hat, und außerdem spielt er ausschließlich YouTube-Videos, die nicht nur aus den Lautsprechern dröhnen, sondern auch noch auf eine Leinwand projiziert werden. Ein multimediales Partyerlebnis, bei dem dir nicht nur vom Alkohol, wenn man sich diesen denn finanziell überhaupt leisten kann, kotzübel wird. Die Idee mit der Leinwand ist ja an sich gar nicht mal so schlecht, aber wenn man sich an einem Abend verpixelte Live-Performances von isländischen Schlager-Opis und Clips (Plural!) von DJ Muscle Boy (hier geht’s zum Muscle Boy-Video), die skandinavische Pornoversion von Scooter, ansehen muss, bringt das meine Feierstimmung nicht unbedingt zum Überkochen, es sei denn, man betrachtet Biggis Spektakel als Satire. Partybeginn ist übrigens schon gegen 20 Uhr und Partyende gegen drei Uhr morgens. Cheers!

 

Schlümpfe, Wikinger, Gangster und Co.

Hin und wieder versucht auch die University of Akureyri ihre Studenten zu unterhalten und abzufüllen. Mit Freibier! Okay, Freibier stimmt nicht ganz, da es sich eher um eine Art PrePayed-Gesaufe handelt. Man registriert sich zu Beginn des Semesters für ca. 10 Euro bei seiner Studenten-Vereinigung (jede Fakultät gehört einer anderen Vereinigung an) und dann darf man auf diversen Hochschul-Events gratis Bier abstauben. Die 10 Euro hat man bei den hohen Alkoholpreisen schnell wieder drin! Es gab ein ganz besonderes Event. Das Sprellmót 2015. Das Sprellmót findet einmal im Jahr statt und ist mir bis heute ein Mysterium, da mir niemand erklären konnte, was Anlass bzw. Sinn dieser bizarren Veranstaltung ist.

Jede Studentenvereinigung designed zu diesem Anlass ein fancy Kostüm, das jedes Verbindungsmitglied am Tage des Events zu tragen hat. Quasi eine Uniform. Der Spaß beginnt gegen 13 Uhr. Vortrinken mit Freibier. Jede Fakultät trifft sich an einem anderen Ort. Wenn die erste Hälfte Freibier vernichtet ist, geht’s zum Marktplatz. Hier treffen alle kostümierten Studenten-Verbindungen aufeinander. Von da an fühlt sich alles an wie Krieg. Alle schreien herum und gröhlen isländische Kampfparolen. Betrunkene Wikinger stürmen auf hyperaktive doppelt blaue Schlümpfe zu, picken sich ein Opfer heraus, das sie gefangen nehmen, um es nach wenigen Minuten wieder laufen zu lassen. Dieses Fangspiel auf dem Marktplatz dauert ungefähr eine Stunde. Danach ziehen alle gemeinsam und friedlich weiter Richtung Partysaal. Hier werden diverse Spiele wie Ballwetthüpfen, Wettessen, Wetttrinken, etc, gespielt. Anschließend wird das beste Kostüm gekürt. Gewonnen hat diesmal widererwartend meine Vereinigung. Die Gangster! Sheesh! Danach war erstmal Mittagspause. Bis jetzt war alles bisschen wie ein großer Kindergeburtstag. Nur mit Bier statt Punica. Am Abend fand dann ein Talentwettbewerb und die „große Party“ statt. Dieses Mal ohne DJ Biggi, dafür aber mit einem nicht weniger speziellen DJ, ausgerüstet mit Smartphone, Spotify Premium App und AUX-Kabel. Get the party started!

 

Unter’m Strich

Da sich das hiesige Nachtleben in Akureyri in Grenzen hielt, schmissen wir Erasmus-Studenten oftmals unsere eigenen WG-Partys. Alles wie in Mittweida. Also quasi fast wie zuhause, nur anders. Zum Glück! Auch ohne das anfangs erwartete Erasmus-Partyleben, war bzw. ist mein Auslandssemester wohl mit das Beste, was ich in den letzten 28 Jahren erleben durfte, denn keine Feierei kann mit dem mithalten, was Island und seine atemberaubende Natur zu bieten hat. Island ist nicht einfach nur „wunderschön“. Es ist viel mehr als das. Mich hat es förmlich verzaubert und es schenkte mir Momente, in denen ich mich wieder wie ein Kind fühlen konnte. Man vergisst hier alle Probleme, Sorgen, Aufgaben und Herausforderungen die zuhause, in der „realen Welt“, auf einen warten, doch das ist eine andere Geschichte.

Fressparty!

Brutale Fressparty!

Mein Island-Erasmus-Party-Fazit: Wer in Akureyri studiert, sollte sich im Klaren sein, dass es nicht die Art von Auslandssemester sein wird, die man vom Hören und Sagen kennt. Nix „Party hard!“, eher „Party light.“, aber wir sind knapp 50 Auslandsstudenten und von denen sind mindestens 90% der gleichen Meinung wie ich und keiner bereut es, hier gewesen zu sein. Ganz im Gegenteil. Hier war es mit Sicherheit ruhiger als in Schottland, Finnland und Spanien, aber die Zeit war nicht weniger intensiv. Das Partyleben war natürlich im Vergleich zu Deutschland anders und etwas speziell, aber unter’m Strich trotzdem schön und eine tolle Erfahrung.

Hendrik

By |2017-11-01T08:36:03+01:00Dezember 23rd, 2015|Explore Island, Island|0 Comments

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